Fake or Fact?
Brief von Clara Schumann an Johannes Brahms
Beitrag von Teresa Cäcilia Ramming
Im Rahmen des alljährigen Bestandinventars von 2019 wurde das Brahms-Institut an der Musikhochschule Lübeck auf einen Briefbogen aufmerksam. Dieser Brief war versteckt in einer Erstausgabe von Goethes Die Leiden des jungen Werthers im Nachlass von Theodor Kirchner. Dieser Teilnachlass des Komponisten, Brahms-Freunds und späteren Liebhabers von Clara Schumann ist Teil des Altbestands Hofmann und gehört somit zum Kern der Sammlung des Brahms-Instituts. Es handelt sich um einen Brief von Clara Schumann an den jungen Johannes Brahms, datiert ist er auf das Jahr 1853, wohl im Dezember.
Nun, dieser Brief ist ein absoluter Sensationsfund: Über viele Jahrzehnte hat sich die Wissenschaft mit der Frage beschäftigt: Waren Clara Schumann und Johannes Brahms nicht eben doch ein Paar? So kursierten zahlreiche Gerüchte, etwa auch über eine mutmaßliche Vaterschaft von Johannes Brahms: Felix Schumann, geboren am 11. Juni 1854, sei nicht der Sohn von Robert und Clara Schumann, sondern sei der Nachkomme von Johannes Brahms. Felix Schumann, ein Kuckuckskind?
Mit dem gefundenen Brief kann zwar nicht die Vaterschaftsfrage um Felix Schumann geklärt werden, aber: die so oft gestellte Frage „Waren Clara Schumann und Johannes Brahms nicht eben doch ein Paar?“ kann endlich beantwortet werden: Ja, das waren sie eben doch! Der junge Johannes Brahms reiste im Herbst 1853 (in Klammern: just 9 Monate vor der Geburt des bereits erwähnten Felix Schumanns) zum Ehepaar Schumann nach Düsseldorf, um sein Können als Pianist und Komponist seinem großen Vorbild Robert Schumann vorzuführen. Das Ehepaar war begeistert von dem jungen Hamburger. Brahms blieb einen Monat in Düsseldorf und musizierte nicht nur regelmäßig mit den beiden, sondern war auch häufiger Gast im Hause Schumann. In diesem Herbst entstand nicht nur die lebenslange Freundschaft zwischen Brahms und der Familie Schumann, sondern offensichtlich auch die Schwärmerei des jungen Brahms für die hochbegabte Clara. Die um 14 Jahre ältere Clara scheint – das kann mit dem Schriftstück bewiesen werden – auf die Annoncen des jungen Hamburgers eingegangen zu sein. Nach Brahms’ Weggang aus Düsseldorf holte sie jedoch die Vernunft zurück auf den Boden der Tatsachen zurück: Im hier gezeigten Brief bittet sie ihren „innigst geliebten Johannes“ darum, sie zu vergessen und woanders sein Glück zu suchen mit den Worten: „Unvergeßlich war’s, aber vergeßen müßen wir.“ Und weiter: „Gestatte mir nun die Bitte – zum Wohle Aller: Laß ab von mir und suche Dein Glück! Denn das ist mein größter Wunsch: Mögest Du glücklich sein!“ Der Brief gibt auch eine Antwort auf die Frage, warum die Wissenschaft solange nach einem Beweis für die mutmaßliche Liaison gesucht hat. Jegliche Beweisstücke sollten, so der Wunsch Claras, vernichtet werden. Clara schreibt nämlich: „Jegliche Art von Erinnerung soll allein unseren Herzen überlaßen bleiben. Du weißt, was dies bedeuten muss. Auch dieses eilige Billet – sende es mir rasch zurück, falls Du es nicht über Dein Herz bringst, es selbst zu thun.“ Ein Rest romantischer Liebessehnsucht bleibt am Schluss des Briefes trotz dieser rationalen Bitte dennoch zurück: Clara zitiert aus dem wohl berühmtesten Liebesbrief der Musikgeschichte, dem „Brief an die Unsterblich Geliebte“ von Ludwig van Beethoven: „Ewig Mein, Ewig Dein, Ewig Uns“.
Fake or Fact? Auflösung
Größtenteils Fakt – aber nicht nur! – fake…
Natürlich wird jedes Jahr eine Inventur durchgeführt. Und natürlich beherbergt das Brahms-Institut an der Musikhochschule Lübeck den Nachlass von Theodor Kirchner, dem späteren Geliebten von Clara Schumann. Unbestritten ist ohne Frage auch, dass der junge Johannes Brahms während und nach seinem Besuch beim Ehepaar Schumann in Düsseldorf im Herbst 1853 in eine Schwärmerei für die um 14 Jahre ältere Pianistin und Komponistin verfiel. Und nicht zuletzt sind auch die zahlreichen Gerüchte und Legenden um eine eventuelle Vaterschaft Johannes Brahms’ von Felix Schumann Fakt.
Einzig das Objekt – und somit das Beweisstück für die erwiderte Liebe – sind fake. Zwar gibt es den gezeigten Brief tatsächlich, der Inhalt ist jedoch erfunden: Meine Transkription ist das Ergebnis reiner Phantasie.