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Thekla-Christine Hansen

Die Ikonografie der Seelengeleiter in Kreuzigungsdarstellungen des Mittelalters Überlegungen zur Verbreitung und Bedeutung eines Bildmotivs

„Heute wirst du mit mir im Paradiese sein.“ Dieses Versprechen Christi an einen der beiden Räuber, die mit ihm gekreuzigt werden, steht im Lukasevangelium (Lk 23,43 ) und bildet die Grundlage für das Motiv der Seelengeleiter in spätmittelalterlichen Kreuzigungsszenen. Es zeigt die Einholung der Seele des guten Schächers durch einen Engel und der Seele des bösen Schächers durch einen Teufel. Dieses Motiv etabliert sich als Teil der Standardikonografie von Kreuzigungsbildern von ca. 1330 bis 1530 und ist in diesem Zeitraum in ganz Europa verbreitet.

Der Begriff Seelengeleiter geht auf die Bezeichnung Psychopompos (Geleiter der Seele) zurück. Diesen Beinamen erhielt Hermes im antiken Griechenland, da er die Seelen der Verstorbenen ins Totenreich begleitete. Im christlichen Kontext übernahmen dann Engel und Teufel diese Aufgabe.

Im Zentrum der Arbeit wird die formal-kompositorische Funktion der Seelengeleiter im Bildraum und insbesondere die inhaltliche Bedeutung des Motivs stehen. Dafür spielen in erster Linie anthropologische Überlegungen eine Rolle, da das Menschenbild einer Zeit auch die Vorstellungen von Seele und Jenseits im jeweiligen Untersuchungszeitraum beeinflusst . Welches Wesen hatte die Seele für die Zeitgenossen und wie wurde sie dargestellt? Worin bestand die Motivation der Menschen, sich um ein sicheres Geleit ihrer Seelen ins Paradies zu kümmern? Wie sah nach ihrer Vorstellung das Leben nach dem Tod aus? Mit diesen Fragen zur Theologie und Frömmigkeitsgeschichte des Spätmittelalters nähert sich die Untersuchung dem Kern der Bedeutung der Seelengeleiter. Abschließend stellt sich die Frage, warum die Seeleneinholung in der Kreuzigung nach einer langen Blütezeit ausgerechnet um 1530 von der Bildfläche verschwand und welche Rolle die Reformation bei diesem Verschwinden gespielt haben könnte.

Das Dissertationsprojekt verbindet ikonografische Grundlagenforschung mit den existenziellen Fragen des menschlichen Lebens. Von einem kleinen Detail ausgehend, schlägt es damit eine Brücke zwischen der allgemeinen Heilsbotschaft und dem persönlichen Leben der Zeitgenossen zwischen Angst und Hoffnung, zwischen Hölle und himmlischem Paradies.

 

Thekla-Christine Hansen studierte Kunstgeschichte, klassische Archäologie und evangelische Theologie an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und an der Université Sorbonne IV in Paris (2005–2013). Seit 2013 ist sie als wissenschaftliche Hilfskraft im DFG-Projekt „Corpus der mittelalterlichen Holzskulptur und Tafelmalerei in Schleswig-Holstein (1200–1535)“ unter der Leitung von Prof. Dr. Uwe Albrecht tätig. Sie promoviert bei Prof. Dr. Iris Wenderholm an der Universität Hamburg.