Viktoria Krason
Günter Grass’ Bildkunst in ihrem literarischen Kontext: Eine interdisziplinäre Untersuchung im Umkreis der Danziger Trilogie und des Butt
Im Zentrum meines Dissertationsvorhabens steht die Verknüpfung von Literatur und bildender Kunst im OEuvre von Günter Grass und damit ein wesentliches Charakteristikum seines sechs Jahrzehnte umfassenden Schaffens: Die Zeichnungen, Druckgrafiken und Plastiken des Künstlers sind eng mit seinem Schreibprozess verzahnt; seine Texte werden mit deutlichen Bezügen zur bildenden Kunst entwickelt und oftmals direkt mit grafischen Bildern kombiniert. Diese Zusammenhänge, die für das Verständnis des Grassschen Gesamtwerks entscheidend und für die Erforschung des Verhältnisses von Wort und Bild im Allgemeinen vielversprechend sind, wurden bislang nicht erschöpfend untersucht. Das Promotionsprojekt könnte deshalb erstmals Aufschluss darüber geben, in welcher Form sich die praktische und theoretische Auseinandersetzung des Schriftstellers mit bildender Kunst in seiner Poetologie widerspiegelt, welche Funktion Bildern in seiner disziplinen- und gattungsübergreifenden Arbeitsweise zukommt und welche Rolle sie für die Konzepte seiner hybriden Kunstwerke spielen. Diese Fragen sollen aus literatur- und bildwissenschaftlicher Perspektive an zwei Werkkomplexen erörtert werden: zum einen an den Arbeiten im Umfeld der Danziger Trilogie, Grass’ epischer Auseinandersetzung Konsequenzen in der Nachkriegszeit; zum anderen an den Werkstattprozessen im Umkreis des Butt, eines Romans, in dem fabulierend das Geschlechterverhältnis von der Jungsteinzeit bis in die Gegenwart der 1970er Jahre behandelt wird.
Die erstgenannte Schaffensphase ist von Grass’ akademischer Ausbildung zum Grafiker und Bildhauer sowie von seinem wenig später einsetzenden literarischen Durchbruch geprägt. Von 1948 bis 1956 erarbeitete er sich an Kunstakademien in Düsseldorf und Berlin handwerkliche Grundlagen und erfuhr eine entscheidende Prägung seiner Ästhetik. Er lernte zunächst von den Düsseldorfer Akademieprofessoren Sepp Mages und Otto Pankok sowie von bekannten, in zeitgenössischen Ausstellungen gezeigten Werken der Klassischen Moderne. Ab 1953 konzentrierte sich Grass als Schüler des Berliner Bildhauers Karl Hartung auf das Sujet der Tierfigur – eine Fixierung, die im Bestiarium des Schriftstellers von den Hundejahren bis zu den Unkenrufen ihr Echo fand. Mitte der 1950er Jahre positionierte er sich in der ideologisch aufgeladenen Debatte zwischen dem Berliner Kunstakademiepräsidenten Karl Hofer und dem Kunstkritiker Will Grohmann über gegenständliche und ungegenständliche Kunst auf der Seite des figurativ arbeitenden Hofer. Diese Entscheidung sollte nicht nur eine dauerhafte Festlegung für den Bildhauermit dem Zweiten Weltkrieg und seinen und Grafiker Grass nach sich ziehen, sondern auch für den Schriftsteller eine wichtige Rolle spielen, denn Mitte der 1950er Jahre führte er sein bildnerisches Schaffen mit dem literarischen zusammen: Er fertigte Bilder zu seinem ersten Gedichtband, Die Vorzüge der Windhühner, an. Nach seinem Umzug nach Paris 1956 entstanden zahlreiche Skizzen und Zeichnungen, die Motive der zeitgleich verfassten Texte aufnahmen bzw. umgekehrt als Metaphern und Bildzitate in seine Theaterstücke und Ballettlibretti, in die Danziger Trilogie und den Gedichtband Gleisdreieck Eingang finden sollten. Zum ersten Mal sind Motivwanderungen zwischen verschiedenen Disziplinen und Gattungen zu beobachten, die Aufschluss darüber geben könnten, welche Aufgaben dem Bild als Bedeutungsträger in Grass’ kreativem Arbeitsprozess zukommen.
Die auf den Butt zusteuernde Werkstattarbeit in der ersten Hälfte der 1970er Jahre kennzeichnet eine verstärkte Parallelführung der bildenden Kunst, Lyrik und Prosa. Sind es im Umkreis der Danziger Trilogie nur einzelne Motive und Handlungsstränge, die verschiedene Text- und Bildformen miteinander verbinden, bereitet Grass nun in nahezu allen künstlerischen Erzeugnissen wichtige Inhalte für einen einzigen Roman vor und nach. Den Butt begleiten neben einzelnen Zeichnungen und Grafiken ein illustrierter Lyrikband, vier grafische Mappenwerke und eine Filmdokumentation. Zugleich erzielt Grass in dem abgeschlossenen Roman und in vielen Bildern erstmals eine engere Verknüpfung verschiedener Ausdrucksformen, indem er, beeinflusst von der Literatur der deutschen Romantik, Gedichte in den Prosatext einfügt und viele der mit der Lyrik zu Kunstmappen verbundenen Grafiken mit handschriftlichen Textzitaten versieht. In der Arbeit am Butt zeichnet sich damit auf verschiedenen Ebenen eine deutliche Tendenz zum gattungs- und disziplinenübergreifenden Gesamtkunstwerk ab, die auf die intermediale Gestaltung späterer Werke vorausweist. Zur Forschungsgrundlage meines von produktions- und rezeptionsästhetischen Ansätzen geleiteten Dissertationsvorhabens gehören Günter Grass’ Arbeitstagebücher, Arbeitspläne, Skizzen und Manuskripte aus dem Archiv der Akademie der Künste Berlin. Vor allem steht jedoch mit dem bildkünstlerischen Vorlass des Künstlers der Bestand des Günter Grass-Hauses im Fokus der Arbeit. Das 2002 in Lübeck eröffnete Museum beherbergt mit über 1.100 Zeichnungen, Aquarellen und Druckgrafiken des Nobelpreisträgers eine repräsentative Auswahl seines bildkünstlerischen Werkes.
Viktoria Krason arbeitete nach dem Studium der Kunstgeschichte, der Neueren Deutschen Literatur und der Philosophie in Münster, Venedig und Berlin (2001–2007) an der Humboldt-Universität zu Berlin und im Günter Grass-Haus (2007–2011). Ihre Dissertation wurde an der Georg-August-Universität Göttingen und der Humboldt-Universität zu Berlin betreut. Ab 2012 war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin im Günter Grass-Haus (Lübecker Modell).
2017 wurde sie an der Georg-August-Universität Göttingen, mit Ihrer Arbeit „Auseinandernehmen und Zusammensetzen : Günter Grass und die bildende Kunst“ promoviert.
2021 erschien ihre Dissertation im Steidel Verlag in Göttingen.