Skip to main content

Vanessa Zeissig

Experiment Literatur: Alternative Ausstellungsmethoden des Literarischen

Museale Ausstellungen stehen heute in der Tradition öffentliche Bildungsorte zu sein, die kulturelle Güter sammeln, bewahren und vermitteln und damit die Herausbildung kultureller Identitäten und den Transfer von Wissen ermöglichen. Während die früheste Referenz und wohl bedeutendste Ausprägung der Institution Museum, das „museion“ im antiken Alexandria, der künstlerischen und wissenschaftlichen Weiterentwicklung sowie Erneuerung verpflichtet war und einen Ort der interdisziplinären Vernetzung bildete, fokussieren viele Museen heutzutage in der vermeintlichen Ausübung ihres Bildungsauftrags auf das Zeigen von Dingen. Sie sind Orte des Durchgangs, die Zutritt zu den Resultaten eines Denkens schaffen, das andernorts erarbeitet wurde. Dem Anspruch der Weiterentwicklung können sie so in keiner Weise gerecht werden, sodass beispielsweise der Philosoph und Kurator Daniel Tyradellis von einer notwendigen Reformierung der Institution Museum spricht. Folglich stellt sich die Frage, »was den Museen bleibt, wenn sie die Welt abseits der Dinge nicht (re-)präsentieren können« (Bast), und wie sie, wenn überhaupt, mit einem ungegenständlichen oder immateriellen Ausstellungsgegenstand umgehen.

Literaturausstellungen sind in diesem Kontext ein besonderes Format, da ihr Gegenstand tatsächlich immateriell ist. Zwischen wissenschaftlicher Theorie und expositorischer Praxis herrscht mit Blick auf die Frage der Ausstellbarkeit von Literatur eine große Diskrepanz: Während die Wissenschaft seit über 30 Jahren über diese Frage debattiert, erleben die Ausstellungen selbst eine anhaltende Blütezeit. Allerdings unterscheiden sich die gezeigten Inhalte und ihre Gestaltung in der Ausstellungspraxis nur marginal. Denn auch hier liegt der Fokus auf der Materialisierung des Literarischen: Ausgestellt wird nicht etwa der Inhalt eines Romans oder seine Formkunst, sondern die Lebenswelt des Autors und die Entstehung seines Werkes in Form von Objekten.

Diese noch heute gängige Praxis ist das Resultat einer dem Medium Ausstellung nur eingeschränkt zugestandenen Vermittlungsleistung. Die Objekte fungieren als Substrate, da die immaterielle Literatur nicht ausgestellt werden könne, sondern sich im Akt des Lesens konstituiere und somit der Vermittlung durch Lektüre bedürfe. Dass beim Ausstellen von Literatur jedoch ein Medienwechsel vollzogen wird und der tradierte Rezeptionsweg des Lesens somit aufgehoben ist, wird in der Debatte über die Ausstellbarkeit vernachlässigt oder zuweilen gänzlich ausgeblendet.

Das Dissertationsprojekt erforscht vor diesem Hintergrund mögliche Alternativen zu heutigen Vermittlungs- und Inszenierungsmethoden von Literaturausstellungen und zielt auf die Entwicklung neuer Ansätze, die dem Medium Ausstellung als einem Ort der interdisziplinären Vernetzung und der „zukunftsgerichteten Diskussion“ (Kobler) gerecht werden. Es soll demnach überprüft werden, ob Literatur ohne Verweis auf die Biografie und die Werkgenese sowie ohne eine zwanghafte Objektivierung exponiert werden kann, welche Effekte dies mit sich brächte und wie Literatur unkonventionell und auf einem dem Medium Ausstellung entsprechenden Rezeptionsweg vermittelt werden kann. Dabei soll deutlich gemacht werden, dass Literaturausstellungen dynamische »Denkräume« (Tyradellis) eröffnen müssen, die einen dreidimensionalen, sinnlich-leiblichen Zugang zur Literatur ermöglichen, deren thematische Zusammenhänge dort mit Bezug auf die Gegenwart weitergedacht werden können. Denn eines sollten alle Ausstellungen gemeinsam haben: »Sie blicken immer nach vorne – in die Zukunft.« (Kobler)
 

Vanessa Zeissig studierte Raumstrategien/Interior Design B. A. an der Muthesius Kunsthochschule Kiel (2007–2010) sowie Architektur/Exhibition Design M. A. am exhibition design institute der Fachhochschule Düsseldorf (2011–2013). Berufserfahrung sammelte sie unter anderem im Estudio Mariscal in Barcelona und als Projektleiterin für Szenografie in Heidelberg. Seit 2015 promoviert sie im Bereich Ausstellungsgestaltung (HFBK Hamburg) und absolviert ein wissenschaftliches Volontariat am Literaturmuseum Buddenbrookhaus in Lübeck.


Ihre Dissertation ist 2022 erschienen:

Die Zukunft der Literaturmuseen: Ein aktivistisches Manifest
Vanessa Zeissig
Bielefeld: transcript 2022.
Reihe Edition Museum ; Bd. 65

Literaturmuseen basieren auf der Heroisierung von Einzelpersonen und repräsentieren dadurch ein weiß und männlich geprägtes Bild des literarischen Kulturerbes. Mit dem Fokus auf die Ausstellbarkeit von Literatur stellt sich das Literaturmuseumswesen jedoch nicht gegen das patriarchale und nationale Fundament, sondern trägt vielmehr zur Aufrechterhaltung des Systems bei.
Mehr »