Stella Barsch
Titus Türk – Seefahrer, Sammler, Schriftsteller. Eine biographische Annäherung an den Lübecker Konteradmiral
„Damals, als man sozusagen erst anfing in unseren überseelichen Besitzungen [den deutschen Kolonien], war überall in ihnen, was los‘“. In der Aufmachung einer heroischen Abenteurererzählung berichtet der Lübecker Marineoffizier Titus Türk (1868–1952) in seinem 1930 veröffentlichten Roman Korallen und Seetang von seinen Einsätzen, die ihn u.a. nach Samoa, Papua-Neuguinea, Namibia, Tansania, Togo, Kamerun und Venezuela führen. Im Auftrag des Deutschen Reichs setzt er vor Ort aktiv die deutschen imperialistischen und kolonialen Interessen durch. Diese Erfahrung ist zentraler Referenzpunkt für die Konstruktion männlicher Geschlechteridentität. In ihr manifestieren sich weiße Männlichkeitsvorstellungen. Gleichzeitig ist sie konstitutiver Ort für Titus Türks literarisches, autobiografisches und ego-dokumentarisches Schreiben.
Hier setzt das Dissertationsprojekt an und untersucht Konzepte, Praktiken und Ebenen weißer Männlichkeit, ihre Kontinuitäten und ihren Wandel am Beispiel des Lübecker Konteradmirals Titus Türk. Der Schwerpunkt liegt auf der bürgerlichen und militärischen Konstruktion soldatischer Männlichkeit, wie sie im Kontext des Kolonialismus/Imperialismus entworfen und in der postkolonialen Phase fortgeführt oder aufgebrochen wird. Außerdem nimmt die Untersuchung die Kontinuitäten und Diskontinuitäten kolonial-rassistischer Diskurse in der Artikulation weißer Männlichkeit in den Blick.
Mit Ansätzen aus den Postcolonial Studies, der kritischen Männlichkeitsforschung und den Critical Whiteness Studies soll nachvollzogen werden, erstens, wie zentral das Koloniale für die Herstellung einer weißen bürgerlichen männlichen Identität war. Zweitens, inwiefern sich die Konstruktion dieser Männlichkeit(en) in der biografischen Entwicklung Titus Türks vollzogen und von ihm in seiner historischen Situiertheit angepasst, aufgebrochen, konserviert oder reproduziert und verstärkt wurde. Drittens, welchen Einfluss historische Kontinuitäten und Diskontinuitäten auf die biografische Entwicklung Titus Türks hatten.
Bisher konzentrierte sich die Forschung im kolonialgeschichtlichen Kontext auf Biografien prominenter Kolonialagitatoren, und es existieren derzeit kaum Arbeiten zur Bedeutung kolonialer Diskurse für die Konstruktion hegemonialer, bürgerlich-weißer Männlichkeit. Das Forschungsvorhaben untersucht den Einfluss der deutschen Kolonialerfahrung auf die Entwicklung der für die deutsche Geschlechtergeschichte so bedeutsamen soldatischen weißen Männlichkeit.
Die Dissertation ordnet sich in den Kontext der neueren Forschung zur deutschen postkolonialen Geschichte, der Geschlechtergeschichte und der Criticial Whiteness Studies ein. Ziel ist es, die unterschiedlichen Forschungsfelder der Kolonialgeschichte und Geschlechtergeschichte miteinander zu verbinden und anhand von Titus Türks Biografie exemplarisch die Bedeutung des kolonialen Projektes für die deutsche Gesellschaft des Kaiserreichs bis zur BRD zu eruieren.
Die empirische Grundlage für die Untersuchung bilden zum einen der umfassende Nachlass der Familie Türk im Stadtarchiv Lübeck sowie zum anderen Objekte aus der Sammlung Kulturen der Welt der Lübecker Museen und weiteres Material in Form von zum Beispiel Zeitschriften, Logbüchern, Besatzungslisten.
Stella Barsch (M.A.) studierte Geschichte und Philosophie in Kiel und Hamburg mit dem Schwerpunkt auf Global- und Kolonialgeschichte sowie Postcolonial Studies. Während ihres Studiums arbeitete sie als studentische Hilfskraft bei der Forschungsstelle „Hamburgs (Post-)Koloniales Erbe/Hamburg und die frühe Globalisierung“. Seit April 2024 ist Stella Barsch im Rahmen des Lübecker Modells des ZKFL Wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Sammlung Kulturen der Welt in Lübeck. Das Promotionsprojekt wird von Prof. Dr. Jürgen Zimmerer im Fachbereich Geschichte der Universität Hamburg betreut.
E-Mail:
stella.barsch@luebeck.de (Sammlung Kulturen der Welt)
stella.barsch@uni-luebeck.de