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Jan Oertling

Beständiges Bauen – Die Altstadt von Lübeck als Modell für dauerhafte Stadt- und Gebäudestrukturen

Die Klimakrise ist zu einem großen Teil baulich verursacht und erfordert ein Umdenken im Umgang mit der gebauten Umwelt. So trägt der Bausektor gemäß der UN allein mit ca. 38 % zu den weltweiten CO₂-Emissionen und dem Energieverbrauch bei. Innovationen innerhalb der bestehenden Planungskultur sind somit dringend nötig, denn die Lösungsansätze für die baulichen Zusammenhänge der Klimaauswirkungen wurden seitens der Politik und Forschung bisher überwiegend als eindimensionale, technische Interventionen verstanden. Diese Maßnahmen übersehen die Wechselwirkungen von Grauer Energie, langfristiger gestalterischer Wirkung und gesellschaftlichen Veränderungen. Es findet keine ganzheitliche Betrachtung dieser Zusammenhänge statt, was in der Baupraxis aufgrund mangelnder Forschungsgrundlagen als Umsetzungslücke im Hinblick auf die Klimaschutzziele gelten kann. Hinsichtlich der ökologischen Nachhaltigkeit ist es wichtig, die Nutzungsdauer (Lebenszyklus) und somit die Beständigkeit von Materialien, Bauteilen und Gebäuden in den Blick zu nehmen und hinsichtlich der Funktionalität, Anpassungsfähigkeit und Kreislauffähigkeit zu analysieren. Als Untersuchungsraum für eine derartige Analyse kann die Altstadt von Lübeck dienen, eine seit dem Mittelalter gewachsene Stadt, die wichtige Erkenntnisse erwarten lässt, da sich mit zunehmender Lebensdauer ohne Umbau oder Abriss der Anteil der eingebrachten Primärenergie relativiert.

Im Rahmen einer objektbezogenen Bauforschung werden auf Makro- und Mikroebene exemplarisch Kaufmannshäuser der Blockrandbebauung der Altstadt von Lübeck als Untersuchungsgegenstand ausgewählt und ihre Architekturtypologie systematisch ausgewertet. Auf der Makroebene untersucht die Arbeit aus einer nutzungsspezifischen Perspektive Formen der Beständigkeit der gebauten Umwelt. So wird in einer städtebaulichen und architekturtypologischen Betrachtung die Funktionalität, Resilienz, Nutzbarkeit und Anpassungsfähigkeit dieser Gebäude grafisch und archivalisch anhand bestehender und aktueller Bauaufnahmen erschlossen. Auf der Mikroebene wird die Beständigkeit technisch-konstruktiv geprüft. Aus bereits erfolgten Bauteil-Beprobungen sowie mittels Dendrochronologie und Mauerwerksuntersuchungen werden Daten gewonnen, die Aufschluss über die technische Dauerhaftigkeit und Anpassungsfähigkeit der Altstadthäuser geben. Ziel der Forschung ist es, funktional-nutzungsspezifische sowie technisch-konstruktive Beständigkeitskriterien zu formulieren, welche ohne wesentliche Anpassung der Baukörper ursächlich eine lange Nutzungsdauer zur Folge hatten. Die Ausprägung an baulichen Interventionen wird dabei zu den Indikatoren für die langfristige Nutzbarkeit und Flexibilität der betrachteten Gebäude.

Die Geschichte der Lübecker Kaufmannshäuser zeigt, dass sich die Baukörper trotz aller Veränderungen in politischer, wirtschaftlicher, gesellschaftlicher und kultureller Hinsicht über die Jahrhunderte erhielten, da sie stets im Gebrauch waren und hierfür überwiegend wenige bauliche Veränderungen nötig waren. Die regionale Baukultur Lübecks könnte damit ein Vorbild sein, um Planungsinstrumente für zukünftige Baumaßnahmen zu gewinnen und so zu einem ökologisch nachhaltigen Bausektor beizutragen.

Am 28.08.2024 berichteten die LN über Jan Oertlings Forschungsprojekt. Den Artikel finden sie hier.

 

Jan Oertling studierte Architektur mit Schwerpunkt „Bauen im Bestand“ in Lübeck. Seine Masterarbeit „Meßbergkontor – Entwurf eines Kontorhauses im UNESCO Welterbe Hamburg“ wurde prämiert mit der Förderprämie des Possehl-Ingenieurpreises und dem Förderpreis für Stadtbaukunst des Deutschen Instituts für Stadtbaukunst. Nach mehrjähriger Tätigkeit in Architekturbüros in Hamburg und Lübeck ist er seit März 2023 Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Lehrbeauftragter am Lehrstuhl für „Bauen im Bestand“ der TH Lübeck und aktiv in der Architekturlehre tätig.

Jan Oertling ist Mitglied der Architektenkammer Schleswig-Holstein und des Architekturforums Lübeck. Seit dem Wintersemester 2023/24 ist er Promotionsstudent am Lehrstuhl „Geschichte und Theorie der Architektur“ der TU Dortmund, wo er von Prof. Dr. Wolfgang Sonne betreut wird. Sein Zweitbetreuer ist Prof. Dr. Dieter Schnell vom Institut für Kunstgeschichte der Universität Bern. Zudem wird Jan Oertling vor Ort in Lübeck unterstützt durch Prof. Michael Locher von der TH Lübeck und der Denkmalpflege Lübeck. Seit März 2024 ist er assoziiert an das ZKFL.

E-Mail: jan.oertling@th-luebeck.de