Sabrina Stockhusen
Hinrik Dunkelgud und sein Rechnungsbuch (1479 bis 1517) – Lebensformen eines Lübecker Krämers an der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert
Im Mittelpunkt der sozial- und wirtschaftshistorisch ausgerichteten Dissertation stehen der Krämer Hinrik Dunkelgud und sein Rechnungsbuch F aus den Jahren 1479 bis 1517. Dieses Buch ist das einzige überlieferte Dokument seiner Buchhaltung, die mindestens sechs parallel geführte Rechnungsbücher (A–F), Geschäftsbriefe und weitere Unterlagen umfasste. Die 234 Papierblätter umfassende Handschrift wird heute in der Stadtbibliothek Lübeck aufbewahrt und ermöglicht aufgrund ihrer heterogenen Einträge, zu denen neben Abrechnungen unterschiedlicher Art beispielsweise neun Testamente Dunkelguds gehören, nicht nur neue Einblicke in die Familien- und Haushaltsstruktur eines spätmittelalterlichen Krämers, sondern auch in die Organisation seines Handels, sogar über Lübeck hinaus: nach Norden mit Stockholm und Bergen, nach Osten mit Danzig und Reval/Tallinn und nach Westen mit Brügge. Laut der älteren Forschungsmeinung stellen solche Fernhandelsbeziehungen für einen Kleinhändler eher die Ausnahme dar, denn im Allgemeinen wurden diese von den ortsansässigen Fernhandelskaufleuten mit Waren versorgt. Besonders die jüngere Forschung konnte durch Einzelstudien aber auch die Kombination und die fließenden Übergänge von Fern-, Groß- und Kleinhandel nachweisen. Allerdings bleiben Fernhandelsbeziehungen von Kleinhändlern häufig schwer nachweisbar, da es an überlieferten Dokumenten mangelt. Somit bieten Hinrik Dunkelguds Aufzeichnungen die seltene Möglichkeit, das Leben eines Krämers – seine Niederlassung und die Erlangung des Bürgerrechts in einer neuen Stadt, seine Familiengründung und die ökonomische Entwicklung seines Haushalts, sein Wirken in der gewerblichen Vereinigung der Krämer und seine jahrelange kaufmännische Tätigkeit – nachvollziehen zu können. Diese Ergebnisse sind besonders wertvoll, da sie den Erkenntnissen zu den deutlich besser untersuchten Kaufleuten aus den städtischen Führungsgruppen gegenübergestellt werden können. Mit einem breit angelegten Untersuchungsansatz fragt die Arbeit deshalb nach den Lebensformen eines Krämers um 1500. Sichtbar werden diese Lebensformen in Hinrik Dunkelguds sozialen und wirtschaftlichen Verhaltensweisen und Praktiken. Ausgebildet wurden diese in den verschiedenen Gruppen der Stadtgemeinde Lübecks und der Kaufleute im Ostseeraum, in dem Dunkelgud einzuordnen ist.
In dieser soeben fertiggestellten und vom ZKFL mit einer Abschlussfinanzierung geförderten Dissertation wurde Dunkelguds bisher in der Forschung als „Memorial“, „Geheimbuch“ oder „Tagebuch“ bezeichnete Buch F erstmals quellenkritisch auf seine Entstehungsumstände, Anlage und Funktion hin untersucht sowie im Ergebnis den kaufmännischen Rechnungsbüchern zugeordnet. Neben der inhaltlichen Analyse dieser Quelle erfolgte eine erste vollständige Edition, die durch umfangreiche Anhänge ergänzt und erschlossen wird.
Hinrik Dunkelguds Haushalt umfasste örtlich den gemeinsamen Wohnkomplex, d. h. die Krambude am Lübecker Zentralmarkt, und personell die Familie sowie die gemeinsam mit ihr unter einem Dach lebenden Personen wie Knechte, Mägde oder Lehrjungen, die gemeinsam für die Vermögensgrundlage des Haushalts arbeiteten. Unter Dunkelgud erfuhr dieser Haushalt personell wie wirtschaftlich einen Zuwachs und ähnelte in seiner Zusammensetzung den Haushalten anderer Kaufmannsfamilien.
Die Organisation seines Handelsbetriebs vor Ort in Lübeck und später in Erweiterung durch seine zwei ehemaligen Lehrjungen und Gesellschafter in Stockholm, Reval und schließlich Danzig in Form der Wirtschaftseinheit des gesamten Haushalts unterschied sich ebenfalls kaum von anderen kaufmännischen Familienbetrieben. Auch sein Umgang mit Maßen und Gewichten, seine Kenntnisse über die für ihn relevanten Handelsusancen sowie seine Buchführungstechniken zeugen von Handelspraktiken, wie sie zu dieser Zeit im Ostseeraum allgemein verbreitet waren.
Weitere Erkenntnisse konnten für die mittelalterliche Gewerbegeschichte – genauer für die Lübecker Krämerkompanie – gewonnen werden, indem eine Untersuchung der Besetzung der Vorsteherämter der Kompanie für die zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts vorgenommen wurde, um Dunkelguds neunmalige Wiederwahl besser einordnen zu können. Zudem konnte durch die Analyse von Dunkelguds personellen Verflechtungen im Handel oder in rechtlichen und familiären Angelegenheiten seine Vergesellschaftung sowohl mit Lübecker Krämern als auch mit anderen Kaufleuten nachgewiesen werden. Das Rechnungsbuch F zeigt in Hinrik Dunkelguds Streben nach Kontinuität und Sicherheit, in seinen Geschäftspraktiken und seiner Vergesellschaftung mit anderen Kaufleuten typische soziale Praktiken und Verhaltensweisen eines mittelalterlichen Kaufmanns. Die Drucklegung der Dissertation befindet sich in Vorbereitung.
Sabrina Stockhusen begann nach dem Geschichtsstudium (2004–2009) an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel mit der Arbeit an ihrer Dissertation am Lehrstuhl für Wirtschafts- und Sozialgeschichte bei Prof. Dr. Dr. h. c. Gerhard Fouquet. Im Jahr 2011 arbeitete sie im Rahmen eines wissenschaftlichen Werkvertrags bei Prof. Dr. Rolf Hammel-Kiesow für das Europäische Hansemuseum Lübeck, von 2012 bis 2014 war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Kieler Lehrstuhl für Wirtschafts- und Sozialgeschichte im DFG-Projekt „Das Memorial des Lübecker Krämers Hinrich Dunkelgud aus den Jahren 1479 bis 1517 und der Detailhandel in Lübeck im 15. und 16. Jahrhundert“. Nach einem einjährigen Abschlussstipendium, das vom ZKFL für das Jahr 2015 vergeben wurde, ist sie seit Mai 2016 als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Kieler DFG-Projekt „Eine oberdeutsche Handelspraktik und das kaufmännische Wissen um 1500“ beschäftigt. Die Promotion erfolgte im Juli 2016.
Sabrina Stockhusen wurde 2016 an der Christian-Albrechts-Universität Kiel mit Ihrer Arbeit „Hinrik Dunkelgud und sein Rechnungsbuch (1479 bis 1517): Lebensformen eines Lübecker Krämers an der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert" promoviert.
2019 erschien ihre Dissertation im Franz Steiner Verlag, Stuttgart in der Reihe: Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Beihefte ; Band 245, ISBN 978-3-515-11698-5.